

In Österreich liegt die Recyclingquote von Kunststoff derzeit bei 26 Prozent. Zu wenig für die EU und deren Green Deal, und zu wenig auch für Gabi Puhm, Geschäftsführerin der Puhm Plastics & Recycling GmbH. Ihr Familienunternehmen hat sich der Entsorgung und Wiederverwertung von Kunststoff verschrieben. Die Geschäftsführerin setzt sich mit voller Leidenschaft dafür ein, Kunststoff als wertvolles Material zu positionieren, das nur auf einen verantwortungsvollen Umgang mit seinen besonderen Eigenschaften wartet.
Liebe Frau Puhm, Sie sind Expertin für Recycling und Wiederverwertung. Wo liegen aktuell die größten ungenutzten Potenziale in der stofflichen Nutzung von Kunststoffabfällen?
Das größte ungenutzte Potenzial liegt hier weniger in der Technik als in der Wirtschaftlichkeit. Gemäß dem alten Sprichwort: Geld regiert die Welt. Das gilt auch für recycelten Kunststoff. So lange Neuware global günstiger ist als hochwertiges Rezyklat aus Europa, bleibt unser eigener Rohstoff, die gesammelten Kunststoffabfälle, zu wenig genutzt. Wir arbeiten mit europäischen Löhnen und Energiekosten. In der Praxis höre ich oft: ‚Geben Sie mir ein Produkt mit Recyclinganteil, aber bitte billiger als Neuware.‘ Diese Erwartung kollidiert mit der Realität. Würden wir die Preisschere schließen und den Wert des vorhandenen Rohstoffs anerkennen, ließe sich der Einsatz von Rezyklaten deutlich steigern.
Welche Strategien verfolgen Sie, um das Bewusstsein in Unternehmen dafür zu schärfen, dass ihre Kunststoffabfälle wertvoll sind?
Grundsätzlich hat sich seit unserer Firmengründung 2008 das Bewusstsein für Nachhaltigkeit verändert: Durch die Nachhaltigkeitsberichterstattung und die Vorgaben aus EU-Green-Deal, Clean Industrial Deal und weiteren Regulierungen ist den großen Unternehmen klar geworden, dass sie handeln müssen. Zugleich setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass dies wahrscheinlich mehr Geld kosten wird und sich nicht immer eins zu eins mit bisherigen Maßstäben vergleichen lässt. Eine der ersten Fragen, die wir Neukunden stellen, lautet: Möchtet ihr, dass wir das Material für euch recyceln, den Kreislauf schließen und ihr es anschließend wieder selbst einsetzt? So startet die Zusammenarbeit, wir wollen vermitteln, dass ein geschlossener Materialkreislauf das Ziel sein sollte.
Vor welchen konkreten Herausforderungen stehen Unternehmen typischerweise im Umgang mit Kunststoffabfällen und welche Lösungen bieten Sie ihnen?
Neben dem finanziellen Aspekt sind Unternehmen mit technischen Herausforderungen konfrontiert. Zu selten fällt sortenreiner Kunststoff an, zudem haben die meisten Unternehmen bei einer Anwendung unterschiedliche Kunststoffe im Einsatz. Diese müssen auch separat getrennt, sortiert und recycelt werden. Das ist aufwändig, aber wir unterstützen an der Stelle und schaffen auch in komplexen Fällen neue Produkte.
Wie bewerten Sie die Fortschritte der Kunststoffbranche in Richtung einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft – und wo steht Österreich im internationalen Vergleich?
In Österreich sind wir bereits auf dem richtigen Weg: Mit der Einführung des Pfandsystems für Flaschen, auch wenn sie etwas später gekommen ist, sind wir jetzt gut aufgestellt. Unsere Sortieranlagen sind hervorragend und verschaffen uns im europäischen Vergleich eine starke Position. Wo wir noch Aufholbedarf haben, sind Bereiche wie Automotiv, Textilien oder Sportartikel. Das hängt vor allem mit den kleinen Stoffströmen zusammen. Recycler brauchen große, verlässliche Mengen, damit die Verarbeitung wirtschaftlich ist. Unterm Strich ist es also ein gemischtes Bild: Bei Verpackungsgrundstoffen, Maschinenbau und in der Sortierung sind wir sehr gut aufgestellt, während andere Kunststoffströme noch hinterherhinken. Auch bei der Recyclingquote insgesamt besteht weiterhin Verbesserungspotenzial.

Wie haben sich die politischen Rahmenbedingungen, etwa durch die PPWR, in den letzten Jahren entwickelt, und welche Auswirkungen hat das auf Industrie und Markt?
Ich finde die Entwicklung sehr positiv und befürworte sie ausdrücklich – und ja, das Thema macht mich schnell emotional. In der Praxis sehe ich immer wieder Verpackungen, für die Neuware schlicht nicht notwendig wäre. Beispielsweise Big Bags, die für die Entsorgung von Asbest verwendet werden. Wenn wir Abfall verpacken, können wir das sehr wohl in Verpackungen aus Sekundärrohstoffen tun. Dafür haben wir unsere Kampagne ‚Abfall in Abfall verpacken‘ gestartet. Das ist mir ein echtes Herzensanliegen, weil ich überzeugt bin, dass es noch viele Einsatzgebiete gibt, in denen Rezyklate sinnvoll und sicher eingesetzt werden können.
Welche politischen Maßnahmen, wirtschaftlichen Rahmenbedingungen oder Unternehmensinitiativen sind aus Ihrer Sicht notwendig, um das Kunststoffrecycling und die Kreislaufwirtschaft in Österreich und der EU weiter voranzubringen?
Das Hauptproblem ist die günstige Neuware: Sie wird per Containerschiff aus Fernost nach Europa geliefert und ist schlicht billiger. Würde man zum Beispiel Neuware mit einer Plastiksteuer belegen und Recyclingware davon ausnehmen, sodass beide preislich auf einem Niveau liegen, würden sich deutlich mehr Kunden für Rezyklate entscheiden.
Wie realistisch ist es, Kreislaufsysteme vollständig zu schließen und Kunststoffabfälle komplett als Rohstoffe zu nutzen?
Der Wunsch ist da, aber wir hinken noch hinterher. Für mich heißt das zentrale Stichwort klar Design for Recycling, beziehungsweise Design for Circular Economy. Alles, was heute auf den Markt kommt, sollte so gestaltet sein, dass es wieder in den Kreislauf zurückfindet. Hinzu kommt, dass Theorie und Praxis oft auseinanderklaffen. So schreibt die PPWR beispielsweise Quoten für den Einsatz von Rezyklaten vor. In unserer täglichen Arbeit erleben wir jedoch eine deutliche Lücke zwischen dem, was in der Praxis tatsächlich umsetzbar ist, und dem, was unter Laborbedingungen theoretisch funktioniert.
Sie kommen aus der Werbung. Welche Rolle spielt Kommunikation für unsere Branche?
Kunststoff hat leider ein Imageproblem, das merke ich oft bei Gesprächen im Privaten. Ich erkläre dann immer, dass nicht der Kunststoff unser Problem ist, sondern wie wir damit umgehen. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass wir als Gesellschaft ohne Kunststoff nicht mehr auskommen, in der Medizin ist er aus zahlreichen Anwendungen gar nicht wegzudenken.